1. April 2022

Friederike meint zum Erwachsenwerden zwischen Stadt und Land

„losgedacht“ ist eine Notizen-Rubrik aus unserem monatlichen Newsletter! Hier kommen Einzelne aus den Mitgliedsverbänden, aus den Vorständen, aus den Geschäftsstellen usw. zu Wort und teilen ihre Sicht der Dinge mit. Im Zentrum steht ein selbst gewähltes Thema – egal ob aktuelles Ereignis, Projekt oder (politische) Entwicklung – hier wird einfach mal losgedacht und eine persönliche Meinung sichtbar gemacht.

Friederike hat im März ein Schulpraktikum bei uns absolviert. Weil sie aus dem Bremer Umland kommt, musste sie für das Praktikum ebenso wie für ihren Schulbesuch, viel Pendelzeit auf sich nehmen. Für „losgedacht“ hat sie sich Gedanken zum Erwachsenwerden zwischen Stadt und Land gemacht. 


Spagat zwischen Maisfeld und Martinianleger

Ich laufe durch die Bremer Innenstadt, ich rieche viele verschiedene Düfte aus Essensbuden und Imbissen. Eine besondere Vielfalt, die ich so nicht gewohnt bin. Ich habe dieses mir bekannte Gefühl, mich nicht entscheiden zu können, ein Gefühl, das ich häufig empfinde. Wahrscheinlich ist, dass es fast allen aus meiner Generation ein bisschen so geht. Ich habe das Gefühl, ich befinde mich dauerhaft auf einer sogenannten „Fressmeile“, das Angebot ist riesig und trotzdem fällt es schwer, sich zu entscheiden.

Ich persönlich komme aus dem „Speckgürtel“ Bremens und pendele zur Schule oder meinem gegenwärtigen Praktikum beim Bremer Jugendring mit dem Bus. Es ist sicherlich übertrieben, wenn ich behaupte, es sei eine tägliche Reise zwischen zwei Welten. Allerdings hat mich schon in meiner frühesten Kindheit die faszinierende Art einer Stadt mit ihren 1000 Möglichkeiten geködert. Ich nahm sie stets als Kontrast zu meinem, mir bekannten, ländlichen Wohnort wahr.

So viele Geschäfte, so viele unterschiedliche Menschen, so viele unterschiedliche Möglichkeiten an Bildungswegen waren es, die mich am Ende dazu bewogen haben, täglich mehrere Stunden in die Großstadt zu pendeln, sei es um in die Schule zu gehen, zum Praktikum zu kommen oder einfach mal mit meinen Freunden abends an der Weser was zu trinken.

Kurz nachdem ich 2020 auf eine Stadtschule in Bremen wechselte, merkte ich die ersten Differenzen zwischen dem städtischen Leben und dem ländlichen. Im Schulunterricht beschäftigten wir uns mit dem Thema „Genmanipulierter Mais“. Als die Frage aufkam, ob es in Deutschland denn überhaupt Mais gäbe, merkte ich, dass viele sich nicht bewusst waren, dass immerhin 20 % der deutschen landwirtschaftlichen Flächen mit Mais bewachsen sind.

Das bedeutet, dass wir das, was vor unserer eigenen Nase wächst (Achtung Wortspiel), am besten kennen. Sei es zum Beispiel für die städtische Jugend der große Parkplatzmangel in Bremens Wohngebieten oder auch der ansteigende Platzmangel in Großstädten.

Im Gegenzug haben wir auf dem Land fast immer genug Platz für alles, was wir brauchen oder eben nicht brauchen. Oft kommt da auch der Gedanke des Platzverschwendens ins Spiel. Innovative Angebote haben es schwer. Meist richten sich an sie Fragen wie „Brauchen wir das überhaupt hier auf dem Land?“ oder „Interessiert das wen?“. Bildung ist für junge Menschen natürlich von besonders wichtiger Bedeutung. Das heißt, wenn man speziellere Sachen machen möchte, muss man in der Regel einen weiten und beschwerlichen Weg auf sich nehmen.

Ja, alles hat seine Vor- und Nachteile, wie so vieles. Wenn ich allerdings genauer über meine Erfahrung in beiden „Welten“ nachdenke, so fällt mir auf, dass die Menschen oft wenig Verständnis und viele gegenseitige Vorurteile haben. Mein persönlicher Eindruck ist, dass man oft lieber in seiner eigenen Welt, egal ob im städtischen Raum oder im ländlichen Raum, lebt, anstatt den jeweils anderen offen zu begegnen. Das ist etwas, was ich sehr schade und bedauernswert finde, denn alle Seiten sind aufeinander angewiesen. Sei es die Landbevölkerung aufgrund der guten Infrastruktur in der Stadt oder die Stadtbevölkerung, die gerne mal einen Spaziergang im Moor macht. Bei unserer nächsten Begegnung mit Menschen aus einer anderen Region, wäre es doch schön, wenn wir zu schätzen wüssten, dass die Vielfalt der Auswahl auch unser Vorteil ist, dass wir uns gar nicht zwischen Stadt und Land entscheiden müssen, weil eine funktionale Gesellschaft beides braucht und auch wir persönlich von der Abwechslung profitieren: Sei es bei einem Getränk an der Weser oder einem schönen Spaziergang im Moor. Ich persönlich habe das Gefühl, dass was mein Leben so lebendig und vielfältig macht, gerade diese Mischung aus Stadt und Land ist. Ich verstehe mich abseits meiner persönlichen Überforderung zwischen den beiden Räumen sogar als Brücke.

Zwischen den Regionen zu vermitteln, kann gerade für uns junge Generation eine große Chance sein, dem Gefühl der Überforderung entgegenzuwirken. Möglicherweise gehört es in gewissen Aspekten auch einfach dazu, manchmal keinen genauen Platz zu haben, weil man sich nicht ehrlich entscheiden kann. Eventuell werde ich irgendwann die Lösung haben, vielleicht wird der innere Konflikt mich ewig lähmen oder mich stattdessen antreiben und bestärken in meinem Handeln.  


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