4. August 2022
Melina meint zur Erinnerungskultur

„losgedacht“ ist eine Notizen-Rubrik aus unserem Newsletter! Hier kommen Einzelne aus den Mitgliedsverbänden, aus den Vorständen, aus den Geschäftsstellen usw. zu Wort und teilen ihre Sicht der Dinge mit. Im Zentrum steht ein selbst gewähltes Thema – egal ob aktuelles Ereignis, Projekt oder (politische) Entwicklung – hier wird einfach mal losgedacht und eine persönliche Meinung sichtbar gemacht.
Melina ist seit Juli 2022 unsere neue Bildungsreferentin für das Projekt Spot on Democracy. In ihre erste Woche fiel zugleich das Ferienangebot zum Thema „Bremen im Nationalsozialismus“. Für losgedacht hat Melina nun über das Erinnern und den Begriff „Erinnerungskultur“ nachgedacht.
Den Begriff „Erinnerungskultur“ hörte ich zum ersten Mal im Oktober 2017, während meines kurzen Ausflugs in das Studium der Integrierten Europastudien. Es ging um den Nationalsozialismus und die Shoah, aber eben vor allem darum, wie sich verschiedene Gruppen an diese Zeit erinnern, wie diese Erinnerungen entstehen und was ein kollektives Gedächtnis ist.
Während meiner Schulzeit sprachen wir natürlich viel über den Nationalsozialismus, aber vor allem darüber, was damals passiert ist. Nie sprachen wir darüber, wie wir uns erinnern, wie andere Länder erinnern und was mit Erinnerung passiert, wenn es keine Zeitzeug*innen mehr gibt. Über Kolonialismus sprachen wir eh nie … obwohl doch – ganz kurz über Christoph Kolumbus, aber der war ja Entdecker und das hatte nichts mit Kolonialismus zu tun. So erklärte das jedenfalls mein Geschichtslehrer 2010 …
Zurück ins Jahr 2017: „Verdrängen, vergessen, verschweigen“, so beginnt nicht nur der Artikel der Bundeszentrale für politische Bildung zum Thema Erinnerungskultur, sondern so fasste der Professor die Erinnerungskultur der Bundesrepublik Deutschland zusammen, jedenfalls bis in die 60er/70er Jahre. Dann der große Wandel. Kinder forderten, endlich die Wahrheit von ihren Eltern zu erfahren. 1979 wird die Serie „Holocaust“ zum Quotenhit in Deutschland. Auch wenn ich schnell merkte, dass das Studium nichts für mich war, blieb mir das Gespräch über Erinnerungskultur im Kopf. Mein Interesse war geweckt und ich nahm regelmäßig an Zeitzeug*innen-Gesprächen teil und ging zu Diskussionsveranstaltungen.
Mir wurde klar, dass Erinnerungskultur mehr ist, als nur unsere Erinnerung an den Nationalsozialismus, es geht auch um Kolonialismus und so viele andere Ereignisse. Ich begriff unter Dekolonialisierung fortan auch die Dekolonialisierung unserer Erinnerung.
Anstatt „ein Mann, der sich Kolumbus nannt; Wide-wide-witt, bum, bum“ zu singen, hätte unser Lehrer darüber sprechen müssen, dass Kolumbus ein Beispiel für die Ausbeutung und Kolonialisierung des globalen Südens sowie die Herstellung eurozentristischer Machtverhältnisse, die bis heute anhalten, ist. Ich nahm mir vor, noch konsequenter „nein“ zu sagen, wenn die Verwandten während Gesprächen über den Nationalsozialismus „Ist nicht auch irgendwann mal gut?!“ fragten.
Jedenfalls sind das meine persönlichen Gedanken zur Erinnerungskultur und dem Erinnern, fernab von akademischen Diskursen. Es geht darum, dass wir verstehen, warum wir uns so erinnern wie wir es tun und welche Schlüsse wir daraus für die Zukunft ziehen. Wir müssen mit Zeitzeug*innen und Betroffenen sprechen, solange wir noch die Chance dazu haben. Wir müssen unsere Deutung von Geschichte verstehen und hinterfragen. Vor allem aber sollten wir das Erinnern nicht vergessen.