losgedacht: Arabella meint zu #selfdistancing

Arabella aus der Geschäftsstelle des Bremer Jugendrings hat hier ihre Gedanken zu Beginn der Corona-Pandemie niedergeschrieben:

„Während überall von #socialdistancing zu hören und zu lesen ist, hatte ich in den letzten zwei Wochen HomeOffice nicht das Gefühl, weniger mit Menschen und ihren Gedanken und Gefühlen zu tun zu haben. Im Gegenteil – über WhatsApp, Telegram und Skypegespräche strömten so viele Nachrichten in Form von Unsicherheiten, subjektiven Weltsichten und Versuchen, diese auch theoretisch zu begründen, auf mich ein. Die dahinterstehenden Gedankenspiele und Ängste oder Wünsche kenne ich – teilweise von mir selbst als auch durch meine individuelle Verbindung mit den Menschen, die sie mir schicken. Nur die Begründungen waren eben selten individuell und bei genauerer Recherche auch keine Begründungen mehr.

Meistens handelte es sich um Links und Videos, in denen „Expert_Innen“ (häufig mit Doktortiteln unklarer Herkunft, manchmal mit weißen Kitteln und oft in einer unaufgeregten, „objektiv“ wirkenden Sprache) etwas zur angeblichen „Mainstream“-Meinung über das Coronavirus und gegen „Panikmache“ beitragen wollen. Das Problem ist: Sie verbreiten dabei selbst Panik. Versteckt hinter ihrem unaufgeregten Auftritt schüren sie Misstrauen in Medien, Politik und Wissenschaftler_Innen, die andere Ansichten vertreten (und der Plural ist hier sehr wichtig!). Ihre alternative „Wahrheit“, die häufig eine Verschwörung von „Anderen“ wittert oder nach Sündenböcken und heimlichen Profiteur_Innen sucht, verdeckt, dass auch sie selbst es sind, die von der Krise profitieren und schon nach einigen Wochen im Internet-„Mainstream“ angekommen sind.

Wer sich mit diesen Mechanismen weiter auseinandersetzen will, kann mal einen Blick auf den kleinen Populisten des Bremer Jugendrings werfen – insbesondere diesen hier!

Doch heißt das jetzt, dass viele Menschen in meinem Bekanntenkreis plötzlich Verschwörungstheoretiker_Innen geworden sind? Laut Michael Butter, der zu solchen Theorien forscht: Nein. Entscheidend ist nach Butter erstens das absichtliche Weglassen weiterer Meinungen als auch der Kontext, in den die Meinung eingebettet wird, um sie zu verbreiten, sagt er in einem Interview mit Zeit Online.

Vielleicht sollte ich meine Bekannten also nochmal darauf aufmerksam machen, dass sie schon durch das Schicken und Teilen „ihrer“ Gedanken und Meinungen den damit zusammenhängenden Fake News und Verschwörungen durch die Erhöhung der Klickzahlen Aufwind geben. Und damit bewegen sie sich ganz im von ihnen abgelehnten medialen „Mainstream“ – der gesteigerten Aufmerksamkeit auf das „Provozierende“, „Neue“ und „Scheinbar-zu-wenig-Gehörte“. Das automatisierte Suchen nach Auffälligem und Neuem versperrt den Blick auf etwas ganz Wichtiges: Dass wir uns auch dabei auf bekannte Denkmuster beziehen, die bequem für uns sind, weil sie unser Weltbild bestätigen. Dies zu erkennen, kann uns dabei helfen, uns selbst ein bisschen weniger wichtig zu nehmen: echtes #selfdistancing!

Eine Möglichkeit, die ich für mich in die Gespräche der kommenden Wochen mitnehme, ist, mich und meine Bekannten zu fragen: Warum genau ist dir diese Meinung so wichtig? Wieso erscheint sie als „Alternative“? Was will ich eigentlich glauben und warum? Was ist es tatsächlich, das mich so verunsichert?

Und dann, ganz langsam, entsteht vielleicht auch der Raum, um den Internetdoktor_Innen kritisch die Flecken auf ihren weißen Kitteln aufzuzeigen. Dabei hilft auch häufig- das Internet!

Über eine Aussage von Michael Butter im oben zitierten Interview musste ich schmunzeln. Er sagt: „Völlig wirkungslos sind Fakten auch nicht. Wenn man sie früh präsentiert, können sie bei Menschen, die noch nicht festgelegt sind, wie eine Art Impfung wirken. Wenn sie dann auf die Falschnachricht treffen, reagieren sie mit größerer Wahrscheinlichkeit mit Abwehr und die Falschnachricht bleibt nicht hängen.“

Also, für alle von euch, die noch nicht mit voller Überzeugung Impfgegner_Innen geworden sind, hier ein paar Schutzimpfungen. Geht auch ganz schnell und tut beim Klicken nicht weh. Nebenwirkungen – zum Beispiel in Form von zwanghaftem Weitergooglen sind aber nicht völlig ausgeschlossen!

Faktencheck von Correctiv (unabhängige journalistische Recherchen)

Mimikama, österreichischer Verein und Rechercheplattform, zum Thema Corona

Der Faktenfuchs vom Bayrischen Rundfunk

Und zum Schluss noch ein kleiner Tipp ganz im Sinne der Arbeit des Bremer Jugendrings: Sobald das coronatechnisch wieder möglich ist, könnt ihr unser Bildungsmodul „What the Fact!?“ buchen. Da werden all diese Themen der medialen Sehgewohnheiten wieder aufkommen und – es wird gemeinsam nach konstruktiven Lösungen gesucht!“

Und noch ein Podcast-Tipp von unserer Honorarkraft Mona zum Thema: Verschwörungsfragen von Dr. Michael Blume, Baden-Württembergs Beauftragter gegen Antisemitismus


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