2. Juni 2021
losgedacht: Gesine meint zur Klimagerechtigkeit

„losgedacht“ ist eine Notizen-Rubrik aus unserem monatlichen Newsletter! Hier kommen Einzelne aus den Mitgliedsverbänden, aus den Vorständen, aus den Geschäftsstellen usw. zu Wort und teilen ihre Sicht der Dinge mit. Im Zentrum steht ein selbst gewähltes Thema – egal ob aktuelles Ereignis, Projekt oder (politische) Entwicklung – hier wird einfach mal losgedacht und eine persönliche Meinung sichtbar gemacht. Gesine engagiert sich in der Naturschutzjugend Bremen und ist zudem im Vorstand des Bremer Jugendrings. Für „losgedacht“ hat sie sich Gedanken zur Klimagerechtigkeit gemacht.
Klimagerechtigkeit ist ein Begriff, der in der Klimaschutz-Bewegung häufig fällt. Auf fast jeder Klima-Demo erschallt im Chor:
What do we want?
Climate Justice!
When do we want it?
Now!
Doch was genau fordern wir, wenn wir so skandieren? Der Begriff ist komplex und abstrakt. Klimagerechtigkeit zu fordern bedeutet, dass wir uns zuerst einmal bewusst machen müssen, aus welch privilegierter Perspektive wir in Deutschland über den Klimawandel diskutieren:
Während wir über Einweggrills und Plastik-Strohhalme streiten, verlieren Menschen im globalen Süden ihre Lebensgrundlage und ihr Zuhause durch klimawandelbedingte Naturkatastrophen. Während wir über den Veggie-Day in Kantinen diskutieren, wird hektarweise Regenwald gerodet, um unseren Fleischhunger zu stillen. Während wir mit Kreuzfahrtschiffen über die Weltmeere schippern, verweigern wir Menschen Seenotrettung und Asyl, deren Fluchtursachen wir durch Ausbeutung selbiger Länder geschaffen haben.
Wir haben das Privileg, dass wir über E-Mobilität diskutieren und dabei als selbstverständlich hinnehmen, dass die Unmenge an seltenen Erden, die wir für solche Technologien benötigen, im Raubbau aus Ländern des globalen Südens unter menschenunwürdigen Bedingungen gewonnen wird. Hier offenbart sich, wie unser Kapitalismus noch heute mit kolonialistischen Strukturen Hand in Hand geht. Während ich als Totschlagargument bei Klimaschutzmaßnahmen häufig höre „Und wer soll das bezahlen?“, so sprechen wir als Antwort auf diese Frage doch viel zu selten darüber, dass unsere pseudo-nachhaltige „Klimapolitik“ auf Kosten des globalen Südens geht.
Als FLINTA*-Person in der Klimaschutz-Bewegung erlebe ich außerdem viel zu häufig, wie aktivistische cis-Männer die FLINTA*-Kämpfe versuchen zu delegitimieren oder bestenfalls einfach nur belächeln. Doch während FLINTA*-Personen vergleichsweise wenig zur Entstehung der Klimakatastrophe beigetragen haben, so kämpfen sie doch nun mit großem Anteil dagegen – und das, obwohl sie in den meisten Ländern politisch wenig Einfluss auf die diesbezüglich getroffenen Entscheidungen haben. Im globalen Süden zeigt sich deutlich stärker als hier, wie der Klimawandel Diskriminierung verschärft. Bei einem Tsunami, der 2004 in Südostasien wütete, kamen viermal so viele Frauen wie Männer ums Leben. Einerseits, weil Frauen seltener schwimmen können, andererseits, weil sie später gewarnt wurden und sich zudem um Kinder und ältere Familienmitglieder kümmern mussten. (Quelle: OXFAM)
Das Verständnis dafür, dass die Unterdrückung von Frauen, die koloniale Ausbeutung und der Klimawandel alle durch den patriarchalen Kapitalismus verschuldet wurden und deswegen eng verknüpft sind (Stichwort Intersektionalität), fehlt in vielen Klimaschutz-Diskussionen und somit auch in unseren Klimaschutz-Maßnahmen. Und ja, vielleicht bekommen wir so irgendwann ein CO2-neutrales Deutschland – aber in was für einer Welt wollen wir leben?
Ich bin selbst noch ziemlich weit am Anfang meines Prozesses, mich mit diesen Dingen zu beschäftigen und habe noch viel Lernbedarf. Es macht mich sehr traurig, dass wir so wenig darüber nachdenken, was das, was wir fordern, für andere Menschen auf der ganzen Welt bedeutet, aber es macht mich wütend, wenn ich höre wie Menschen, die in der Politik tätig sind, Privilegien einiger weniger Menschen verteidigen und das dann „Freiheit“ nennen. Auf solche Menschen kann und möchte ich mich im Kampf gegen den Klimawandel nicht verlassen.
Um für einen Systemwandel zu kämpfen, müssen wir mehr tun, als alle vier Jahre zwei Kreuzchen auf einem Zettel zu machen – wir müssen uns aktiv einmischen und laut sein, fordernd, nervig, anstrengend und ungehorsam. Climate Justice now!