3. März 2021
losgedacht: Joel meint zur Diskussion um rassistische Sprache

„losgedacht“ ist eine Notizen-Rubrik aus unserem monatlichen Newsletter! Hier kommen Einzelne aus den Mitgliedsverbänden, aus den Vorständen, aus den Geschäftsstellen usw. zu Wort und teilen ihre Sicht der Dinge mit. Im Zentrum steht ein selbst gewähltes Thema – egal ob aktuelles Ereignis, Projekt oder (politische) Entwicklung – hier wird einfach mal losgedacht und eine persönliche Meinung sichtbar gemacht. Joel ist seit Mitte Februar Praktikant im Bremer Jugendring. Für „losgedacht“ hat er sich Gedanken zur Diskussion rund um rassistische Sprache gemacht.
In der am 29. Januar 2021 ausgestrahlten WDR Sendung „Die letzte Instanz“ wurden vier prominente, weiße, mitteleuropäische Gäste eingeladen, um über das Thema Rassismus zu sprechen. Diese vertraten unter anderem die Auffassung, dass im Zentralrat der Sinti und Roma in Deutschland zwei/drei Menschen säßen, welche nichts Besseres zu tun hätten, als sich von Schnitzel und Soßenbezeichnungen angegriffen zu fühlen. Oder waren der Meinung, dass – wer sich schon mal durch Blackfacing als Jimi Hendrix verkleidet habe – nun wisse wie sich People of Color fühlen.
Soweit so skandalös und bekannt…
Liebe Leser_Innen,
ich weiß, was Sie nun wahrscheinlich denken müssen: Warum muss sich hier nun ein weiterer männlicher, weißer, mitteleuropäischer Mann zu diesem Thema äußern, welcher leider im Bild der Allgemeinheit als Norm gilt und daher in seinem Leben keinerlei Erfahrungspunkte mit rassistischen Äußerungen machen musste und somit auch nicht nachvollziehen kann, was es bedeutet, nicht Teil der weißen, deutschen Dominanzgesellschaft zu sein? Um ganz ehrlich mit Ihnen zu sein, auch ich habe mir diese Frage im Vorfeld dieses Textes gestellt … Jedoch auch ohne jemals selbst Opfer von rassistischen Äußerungen geworden zu sein, beschäftigt mich dieses Thema und wühlt mich auf. Außerdem möchte ich hiermit ein Zeichnen setzen und klarstellen, dass nicht alle als weiß gelesenen Menschen in ihrem Denken so empathielos und unreflektiert sind wie Gottschalk und Co.
Aus wissenschaftlicher Sichtweise wird der Diskurs zu diesem Thema meist als ein Konflikt zweier Gegenpositionen gerahmt. Auf der einen Seite steht hierbei die Meinungsfreiheit und die mit ihr verbundene Position, sich nicht einschränken zu lassen und alles sagen zu können, was einem lieb ist. Die Gegenposition hingegen vertritt die Auffassung, dass das Recht auf „free speech“ zugunsten von marginalisierten Gruppen eingeschränkt werden müsse. Und ich…?
Nun ja, ich persönlich halte den gesamten Diskurs für verfälscht und nicht zielführend, wenn zwei fundamental wichtige Aspekte einer solidarischen Gesellschaft wie „Meinungsfreiheit“ und „Schutz von Minderheiten“ gegeneinander ausgespielt werden sollen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Selbstverständlich ist ein Diskurs über Rassismus essentiell für unsere Gesellschaft und muss immer wieder aufs Neue geführt werden. Mich stört hierbei aber das Verständnis, dass Schutz von marginalisierten Gruppen mit der Einschränkung von Meinungsfreiheit gleichgesetzt wird. Gerade für weiße Mitteleuropäer_Innen, welchen in ihrem Leben strukturell so gut wie keine Einschränkungen im Wege stehen, soll es eine Einschränkung ihrer Freiheit darstellen, wenn sie zum Schutz von marginalisierten Gruppen auf einige Wörter in ihrem Wortschatz verzichten? Auch als Verfechter von Meinungsfreiheit bleibt mir rätselhaft wie man so empfinden kann. Weitergehend würde ich sogar behaupten, dass Menschen, welche sich durch den Verzicht von rassischen Begriffen in ihrer Freiheit beraubt fühlen, ein Teil des Problems darstellen.
Auch ich persönlich habe nicht die Weisheit mit Löffeln gegessen, mache sehr wahrscheinlich im Umgang mit diesem Thema nicht alles richtig und lerne weiterhin dazu. Rassistische Fremdbegriffe aus dem eigenen Wortschatz zu streichen, sollte jedoch eine Selbstverständlichkeit sein. In einer idealen Welt würde es hierfür keinerlei Diskussion bedürfen. Bis es soweit ist, müssen wir uns klar und deutlich gegen Rassismus positionieren und dabei auch immer wieder Sprache im Hinblick auf verletzende Wörter und Ausdrücke hinterfragen. Hierbei sollten wir strikt klarstellen, dass Meinungsfreiheit niemals als Ausrede für Rassismus herhalten darf.