27. April 2021
losgedacht: Julia meint zur Cancel Culture

„losgedacht“ ist eine Notizen-Rubrik aus unserem monatlichen Newsletter! Hier kommen Einzelne aus den Mitgliedsverbänden, aus den Vorständen, aus den Geschäftsstellen usw. zu Wort und teilen ihre Sicht der Dinge mit. Im Zentrum steht ein selbst gewähltes Thema – egal ob aktuelles Ereignis, Projekt oder (politische) Entwicklung – hier wird einfach mal losgedacht und eine persönliche Meinung sichtbar gemacht. Julia ist Teil der tuten un beginnen-Crew im Bremer Jugendring und hat an verschiedenen YouTube-Filmen des Formats mitgewirkt. Für „losgedacht“ hat sich die 14-jährige Medienschaffende Gedanken zur Cancel Culture gemacht.
Im Moment sind sie wieder ganz große Themen: Cancel Culture und Shitstorms. Wenn man mich fragt, geht die Cancel Culture einher mit Shitstorms. Ein aktuelles Beispiel ist Luke Mockridge. Ihm wird mutmaßliche sexuelle Gewalt und Missbrauch vorgeworfen, wofür er auf Twitter einen Shitstorm bekommen hat. Ob dieser berechtigt war, ist ein ganz eigenes Thema. Die einen reden von Unschuldsvermutung und sprechen damit den Opfern die Wahrhaftigkeit ihrer Aussagen ab und die anderen wollen einfach nur Konsequenzen für die mutmaßlichen Straftaten sehen.
Diese Konsequenzen drücken sich gern mal durch die sogenannte Cancel Culture aus. Das heißt eine Person wird aus der Öffentlichkeit ausgeschlossen, indem sie z.B. ihre Sendung nicht mehr moderiert oder ihr generell keine öffentliche Plattform mehr gegeben wird. Das kann aber auch mit Filmen/Serien passieren, die z.B. Blackfacing oder andere rassistische Stereotype zeigen, die nicht mehr unserem gesellschaftlichen Wertekonsens entsprechen und deswegen online nicht mehr abrufbar sind. Oft geht es um das Prinzip: Es wurde ein Fehler gemacht und das soll öffentlich aufgezeigt werden.
Also eigentlich das gleiche Prinzip wie beim Shitstorm. Der kontroverse Kabarettist Dieter Nuhr beschrieb diese mal als „humane Variante des Pogroms“. Dieser Vergleich ist vollkommen falsch und holocaustrelativierend, weswegen er sich dafür auch einen Shitstorm einfing. Sowohl bei einem Shitstorm als auch bei der Cancel Culture gibt es meist zwei Seiten. Einfach runtergebrochen: Die eine ist die eher konservative das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen Seite und die andere ist die eher linke „woke“ Seite. Shitstorms gehen normalerweise von beiden Seiten aus, sind dann aber in ihrer Intensität doch sehr unterschiedlich. Während die, nennen wir sie mal Konservativen, viel aggressiver und fast schon Gewalt bereit reagieren (ich möchte an das „meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ Lied des WDR-Kinderchors erinnern), beschränkt sich ein Shitstorm von links meist nur auf ein paar verärgerte und manchmal mehr oder weniger beleidigende Tweets. Zu einer sachlichen Diskussion kommt es dabei eigentlich nie, da beide Seiten lieber aufeinander eindreschen und sich Hashtags ausdenken, unter denen sie ihre Solidarität bekunden. Meiner Meinung sind solche oberflächlichen Schlagabtäusche meist sinnlos und unnötig. Warum kann man denn nicht vernünftig miteinander diskutieren. Ich verstehe ja das Problem mit Verschwörungstheoretikern und Rechtsradikalen, mit denen eine Diskussion allein deswegen nicht möglich ist, weil man quasi in verschiedenen Realitäten lebt. Trifft dies nicht auf das Gegenüber zu, sollte es jedoch möglich sein, dass man sich erst einmal anhört was die Gegenseite zu sagen hat und dann eigene Argumente vorzubringen. Ich weiß, dass das manchmal schwer ist, aber Diskussionen im Netz wären so weitaus angenehmer.
Kommen wir nochmal zur Cancel Culture zurück. Der Begriff ist eher negativ besetzt und er wird meistens dafür benutzt „Cancel“-Debatten als Überreaktionen zu degradieren. Ich finde dieses „Canceln “ aber in vielen Fällen sinnvoll. Warum sollte man Menschen die sich rassistisch, homophob oder sexistisch äußern noch eine Plattform bieten?
Mein Fazit aus den ganzen Shitstorms und der Cancel Culture ist folgendes: Shitstorms machen in manchen Fällen Sinn um Fehler aufzuzeigen. Ich denke dabei im Besonderen an die Debatte zur rassistischen Sprache nach der Sendung „Die letzte Instanz“ des WDRs. Aber sie bringen leider nicht immer die Diskussion zu den Themen, um die es bei ihnen geht, voran und verhärten im ungünstigsten Falle sogar die Fronten. Oft sind sie nicht lösungsorientiert, einfach nur beleidigend und gehen zu weit. Der Autorin Jasmina Kuhnke wurde z.B. die Veröffentlichung ihrer Adresse angedroht, was auch geschah, weswegen sie letztlich umziehen musste. Den Shitstorm hat sie übrigens gehabt, weil sie sich als BIPoC gegen Rassismus einsetzt. Das gibt mir sehr zu denken.
Bei der Cancel Culture ist es eigentlich das Gleiche. Ja klar, es ist gut, dass Menschen, die sich diskriminierend äußern, Konsequenzen spüren. Aber verändert das auch wirklich deren eigene Meinung und Einstellung? Ehrlich gesagt weiß ich auch nicht, was genau der adäquate Umgang in solchen Fällen ist. Vielleicht wäre das ja mal ein Thema für die großen Polit-Talkshows, anstatt sich immer noch an Fragen aufzuhängen wie „Was darf man eigentlich noch sagen?“ …