5. Oktober 2020
losgedacht: Nele, Lotta, Mo meinen zu „Aktivismus für eine Welt“

„losgedacht“ ist eine Notizen-Rubrik aus unserem monatlichen Newsletter! Hier kommen Einzelne aus den Mitgliedsverbänden, aus den Vorständen, aus den Geschäftsstellen usw. zu Wort und teilen ihre Sicht der Dinge mit. Im Zentrum steht ein selbst gewähltes Thema – egal ob aktuelles Ereignis, Projekt oder (politische) Entwicklung – hier wird einfach mal losgedacht und eine persönliche Meinung sichtbar gemacht. Moritz Wittkamp arbeitet in der Geschäftsstelle des Bremer Jugendrings und ist ehrenamtlich im JEP Bremen (Junges entwicklungspolitisches Forum) aktiv. Für „losgedacht“ haben er sowie Nele und Lotta aus dem JEP Bremen ihre Gedanken zum Thema „Aktivismus für EINE Welt“ niedergeschrieben:
Das Junge entwicklungspolitische Forum Bremen veranstaltete am Wochenende vom 25. bis 27.10. eine Exkursion nach Berlin. Es ist nicht ungewöhnlich sich der Hauptstadt aus einer politischen Perspektive zu widmen, doch unser Motto hieß „Aktivismus für EINE Welt“. Wir besuchten zahlreiche Akteur*innen und Kollektive, die uns von ihren Kämpfen für eine gerechtere Welt berichteten. An einige dieser Begegnungen möchten wir in diesem „losgedacht“-Artikel anknüpfen und unsere Gedanken mit Euch teilen.
Mit einem Besuch des „Weltacker“-Projekts und der aktuellen Hannah-Arendt-Ausstellung im Deutschen Historischen Museum sowie einer Spurensuche durch das Kreuzberg der 80er-Jahre hatten wir ein reichhaltiges Exkursionsprogramm zusammengestellt, auf das wir an dieser Stelle nur verweisen wollen.
Im wahrsten Sinne des Wortes hat uns insbesondere der globale Klimastreik am 25.09. „bewegt“, der mit Blick auf den Titel der Veranstaltung selbstverständlich auch einen essentiellen Programmpunkt der Exkursion darstellte. Unter dem Slogan #KeinGradWeiter holte der Streik auch diesmal ein breites Bündnis an Menschen auf die Straße, um für nichts weniger als die Zukunft der Erde und ihrer Gemeinschaft zu kämpfen. Neben dem Widerstand gegen die Klimakrise wurde von verschiedenen Redner*innen auch ein kritischer Blick auf die Klimabewegung, welche sich mehrheitlich aus weißen und heteronormativen Perspektiven speist, laut. So kann der Kampf für eine klimagerechte Welt nur intersektional funktionieren und muss in Zukunft auch mehr Stimmen von BIPoC (= Black, Indigenous and People of Color) hörbar miteinbeziehen. Wenn wir nicht JETZT handeln, trifft die Klimakrise zwar uns alle*, doch einige trifft sie deutlich härter und bereits jetzt. Existenzbedrohungen durch Klimafolgen in weiten Teilen des globalen Südens sind real. Eine übermäßig hohe Umweltbelastung in einigen mehrheitlich migrantischen Vierteln ist real. Mehrfachbetroffenheit bei Geflüchteten, die den Klimafolgen entkommen und auf eine menschenverachtende „europäische Flüchtlingspolitik“ treffen, ist real. Dies sind ein nur paar der dringlichsten Stimmen im Kampf gegen den Klimawandel vor Ort und anderswo, die wir hören müssen, wenn wir nicht nur „Klimagerechtigkeit“ sagen, sondern auch ernsthaft herstellen wollen. Es wird klar, dass wir (auch) im Kampf gegen den Klimawandel unbedingt auf BIPoC-Perspektiven angewiesen sind.
Der akkumulierte Reichtum und massive CO2-Ausstoß vieler Industrienationen fußen auf den ausbeuterischen Praktiken der kolonialen Vergangenheit dieser Länder, zu denen auch Deutschland zählt. Ihre industriellen und klimaschädlichen Entwicklungsschübe basieren damals wie heute auf Kosten anderer, die diesen vermeintlichen Wohlstand erst möglich gemacht haben. So ist die Klimakrise auch ein koloniales Erbe! Die Klimabewegung hat aus diesem Grund die Aufgabe, aber auch das Potential aktiv einen dekolonialisierenden Beitrag zu leisten – nicht zuletzt als Beitrag gegen Rassismus und seine tödlichen Folgen für Betroffenen.
Anknüpfend an diesen Forderungen möchten wir ein weiteres Feld für Engagement gegen dieses allgegenwärtige koloniale Erbe aufzeigen, nämlich den öffentlichen Raum. Diesbezüglich hat uns ein Gespräch mit Mnyaka Sururu Mboro von Berlin Postkolonial bewegt, auf das wir gerne näher eingehen möchten:
Ganz konkret ging es um die sogenannte „M.-Straße“. Diesen Titel trägt seit 1991 sogar eine U-Bahn-Haltestelle. Ein Jahr nach der Benennung begannen schon die Proteste gegen diesen offensichtlich rassistischen Namen. Die zähen Kämpfe gegen die kolonialen und rassistischen Strukturen, die uns Mboro auch über die Bezeichnung der „M.-Straße“ hinaus schilderte, waren grausam. Menschen, die in Straßen mit diffamierenden, beleidigenden oder ausgrenzenden Namen wohnen, wollen aus unterschiedlichen Gründen nicht, dass die Namen geändert werden. Die einen halten Bequemlichkeit vor, da ja alle Angaben, Anmeldungen und Ausweise geändert werden müssten. Andere denken und handeln offensichtlich mit rechten Absichten. Wenn es also überhaupt mal dazu kommt, dass das Anliegen einer Straßenumbenennung ernsthaft von der Stadt oder vielmehr ihren Bewohner*innen in Erwägung gezogen wird, dann stelle sich nach einem langen Prozess Menschen quer und verlangsamen oder verhindern eine Umbenennung bspw. mittels vermeintlich legitimen Klagen. Dabei geht nach der Logik von Berlin Postkolonial die angestrebte Änderung auch immer mit Bürger*innen-Beteiligung und Aufklärung einher. Koloniale Verbrecher*innen sollten nicht in Straßennamen oder Denkmälern geehrt werden, ebenso soll auch die Geschichte und die kolonialen Überbleibsel nicht einfach ausradiert werden. Niemand möchte das! Wichtig ist jedoch die Geschichte in einen richtigen Kontext zu setzen. So werden immer auch Infotafeln errichtet, die über die koloniale Vergangenheit und den Ort kritisch informieren. Was Berlin Postkolonial und auch Decolonize Berlin unter großen Mühen und ohne staatliche Unterstützung aufstellt und immer wieder in Stand setzt, sind bspw. Tafeln mit Infotexten über Deutschland als Kolonialmacht – Eine Kapitel, das in der Schule leider oft ausgeklammert wird. Aber vielleicht ist gerade das ein Grund dafür, warum selbst solche harmlosen Infotafeln immer wieder bis aufs Unerkenntliche zerkratzt werden. Unerklärlich, warum Menschen so sehr am kolonialen Erbe festhalten wollen, traurig, unverständlich und offensichtlich menschenfeindlich.
Selbst verständlich spielt bei der Wahl eines neuen Namens für eine Straße oder einen Platz, wenn es denn einmal so weit kommt, auch der neue Symbolcharakter eine wichtige Rolle. Keiner will alten weiße Männer für Genozide feiern, sondern aufklären und andere Geschichten erzählen. So ist es wichtig dem glorifizierenden Personenkult von vorgestern mit Held*innen und Vorreiter*innen von Freiheit und Gerechtigkeit entgegenzutreten, mit starken Frauen*, starken BIPoC. So wie im Fall der Umbenennung des Groeben-Ufers in Berlin zum May-Ayim-Ufer, das an die antirassistische Aktivistin und Dichterin May Ayim erinnert.
Mit diesen Eindrücken und Gedanken im Gepäck hat die Exkursion nach Berlin auch unseren Blick auf Bremen geschärft. Als Hafenstadt wiegt hier das koloniale Erbe besonders schwer und fordert unser aller Engagement für eine aktive Aufarbeitung dieses dunklen Stadtkapitels. So haben in Bremen bspw. die Auseinandersetzungen mit der Karl-Peters-Straße in Walle nur zu einer Umwidmung geführt. Statt des brutalen Kolonialherren wird nun ein eher unbekannter Strafrechtler und Namensfetter geehrt, sodass der Name bleibt. Aus unserer Sicht ist dies kein klares Bekenntnis gegen Kolonialismus und seine omnipräsente Folgen. Gerade dies bräuchte es jedoch dringend, um ein Zeichen gegen den alltäglichen und strukturellen Rassismus zu setzen.
Doch die kolonialen Spuren in Bremen sind nicht nur auf Straßenschildern zu finden. So werden in der vielbesuchten Böttcherstraße am Glockenspiel mit Dietrich Pinning und Hans Pothorst zwei renommierte, deutsche Seefahrer des 15. Jahrhunderts und vermeintliche „Entdecker“ Nordamerikas glorifiziert. Auch einige Bauten, die bis heute Bremens Stadtbild prägen und der Hansestadt zu ihrem damaligen Reichtum verhalfen, existieren bspw. mit Blick auf die großen Kaffeeröstereien noch heute und führen globale Ungerechtigkeiten fort. Wie vormals findet nach dem Import der Rohware die Verarbeitung des Kaffees vor unserer Haustür statt, die den größten Teil des Kaffeepreises ausmacht. Die Weiche des Kapitalflusses wurde vor Jahrhunderten gestellt und die eigentliche Arbeit für Anbau, Pflege und Ernte wird weiterhin durch Niedrigstlöhne bestimmt. Doch sie lässt sich auch umstelle. Im Falle des Kaffees durch einen bewussten Konsum, der bspw. auf fertige Produkte kleinbäuerlicher Genossenschaften zurückgreift. Im Falle von Straßenumbenennungen oder gar der Klimakrise sind die Antworten wohl nicht ganz so einfach. So ist es umso wichtiger, dass ihr Euch diesen Kämpfen anschließt und statt Unterdrückung und Ausbeutung für Gerechtigkeit einsteht, statt Zerstörung einen klimagerechten Auf- und Umbau unterstützt und anstatt Hass Liebe verbreiteten.
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