Warum Bremen seine Klimaziele verfehlt – Trotz Druck fehlt der Mut

Interview mit Philipp Bruck, Mitglied der Bremischen Bürgerschaft und klimapolitischer Sprecher der Fraktion Die Grünen, geführt von Paul-Nikos Günther und Niels Polle im Rahmen des Journalismus-Workshops #aufgedeckt – Klimapolitik auf den Zahn fühlen.

Klimapolitik ist heutzutage wichtiger denn je. Damit hat sich auch unser Workshop vom Bremer Jugendring zum Thema ‚konstruktiver Klimajournalismus‘ beschäftigt, in dessen  Rahmen wir Philipp Bruck, den klimapolitischen Sprecher der Grünen, interviewt haben. Nachdem er mit dem Fahrrad ankam waren wir schnell im Gespräch und auch beim Du.

Du bist der klimapolitische Sprecher der Grünen Bürgerschaftsfraktion. Spielt der Klimawandel auch eine große Rolle in deinem Privatleben?

Ja, politisch sowieso. Dadurch dass es mein Job ist, habe ich viel damit zu tun, aber auch außerhalb der Politik denke ich viel über die Klimakrise nach. Eigentlich beschäftigt es mich den ganzen Tag. Ich habe noch ein kleines Ingenieurbüro, in dem wir Unternehmen beraten, zu Klimaschutz und Energieeffizienz. Ich versuche auch privat möglichst klimafreundlich zu leben.

Bremen hatte sich in Sachen Klimaschutz ein ambitioniertes Ziel gesetzt.  „Bis 2020 40% CO2 einsparen im Vergleich zu 1990“ war das Ziel. Jetzt haben wir 2020 und es wurde nicht einmal 20% erreicht. War das Ziel überhaupt machbar? Wurde sich zu wenig bemüht?

Ein Problem ist, wir in Bremen können nicht alles alleine entscheiden und dementsprechend auch nicht alles erreichen. Bei einigen Bereichen ist auch die Bundes- bzw. EU-Regierung gefordert. Die Bremer Stahlwerke zum Beispiel verursachen 50% der Bremer  CO2-Emissionen, liegt aber nicht in Länderhand. Bremen hätte aber auch einfach mehr machen können und müssen. Das bedeutet, die Regierung hat auch zu wenig unternommen.

Was hätte man noch machen können?

Letztendlich betrifft es alle Gesellschafts- und Politikbereiche, ob das jetzt Energie, Verkehr oder Bau ist. Sinnvolle Ansatzpunkte sind der Kohle-Ausstieg, die Bestückung von Dächern mit Photovoltaikanlagen, weg vom privaten Autobesitz, mehr hin zum ÖPNV und auch die Gebäudedämmung muss beschleunigt werden.

Waren die Berechnungen des Bremer Klimaplans zu optimistisch?

Es gibt mehrere Gründe, warum der Plan nicht aufgegangen ist. Das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum wurden falsch eingeschätzt. Man hat angenommen, Bremen schrumpft, die Wirtschaft wächst nicht so stark und die Bundesregierung würde mehr machen. Stattdessen ist Bremen gewachsen und die Wirtschaft dazu. Die Bundesregierung hat zu wenig gemacht. Dazu gab es im ersten Klimaplan für 2020 sowieso eine Lücke von 7% in den Berechnungen, die noch durch zusätzliche Maßnahmen gefüllt werden musste. Das wurde nicht ausreichend gemacht.

Das Klimaprogramm wurde dreimal ausgearbeitet, 2009, 2015, 2018 und trotzdem gab es die 7% Lücke und nicht genügend Maßnahmen in den Gutachten, um das Ziel zu erreichen. Wie kam es dazu?

Das fand ich auch erstaunlich. Ich habe mich auch gefragt und frage mich immer noch, warum es keine radikaleren Maßnahmen gab, warum radikalere Maßnahmen nicht mal in Erwägung gezogen wurden. Erst wurde festgestellt, dass wir nicht auf dem Pfad sind und dann wurden Maßnahmen vorgeschlagen, mit denen wir es immer noch nicht geschafft hätten. Das ist bedauerlich.

Was bedeutet die Verfehlung der Ziele für die Landesregierung und deine Partei?

Die wichtigere Frage ist, was die Klimaschäden auf der Welt verursachen. Aber für eine Partei, die sich Klimaschutz auf die Fahne schreibt, ist es natürlich frustrierend.

Der Klimawandel bedroht vor allem uns junge Menschen. Schafft es Bremen, seinen Teil zum Green Deal der EU beizutragen, der vorsieht bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen?

Wir haben uns sogar ein noch größeres Ziel gesetzt, wir  wollen vor 2050 klimaneutral werden. Das Ziel sind minus 80% bis 2030 im Koalitionsvertrag mit der SPD und den LINKEN. Man könnte natürlich sagen, wenn wir es letztes Mal schon nicht geschafft haben, wie sollen wir es dann jetzt schaffen? Da laufen mehrere Dinge auf einmal: Es soll zum Beispiel ein Klimavorbehalt eingeführt werden. So sollen alle entstehenden Maßnahmen und Gesetze auf ihre Klimawirkung überprüft und dementsprechend angepasst werden.

Wäre es bei einem Klimanotstand nicht auch so?

Wir wollen das deutlich komplexer machen, als zum Beispiel in Konstanz, wo es einen Klimanotstand gibt. Wir haben in Bremen die „Klimanotlage“ erklärt. Das entscheidende Instrument ist der Klimavorbehalt, demnach muss auch immer nach klimafreundlicheren Alternativen für Vorhaben geschaut werden. Wir schauen, wenn zum Beispiel  eine Autobahn gebaut wird, wie hoch der  CO2 Ausstoß ist, welche anderen Möglichkeiten es gäbe  und dann muss  der Ausstoß gegebenenfalls kompensiert werden. Neben dem Klimavorbehalt gibt es außerdem die Enquête-Kommission aus Abgeordneten aller Fraktionen und Sachverständigen, die gerade ein neues Klimaprogramm ausarbeiten.

Hast du Angst, dass wir die Kurve zur CO2-Neutralität nicht oder nicht rechtzeitig schaffen?

Ja, wenn ich ehrlich bin, fürchte ich, dass es so sein wird. Das macht mir definitiv Sorgen. Ich hoffe jedoch, dass wir es schaffen und  ich werde weiter Politik für die Einhaltung der Ziele machen. Es gibt ja entsprechende  Maßnahmen, der Mut muss nur aufgebracht werden.

Warum fehlt der Mut?

Jede Partei möchte gewählt werden und wird wenig Dinge tun, die den Bürger*innen so gar nicht gefallen. Das ist in einer Demokratie auch verständlich, denn wenn die Grünen jetzt zum Beispiel durch zu unbeliebte Klimamaßnahmen aus dem Parlament fliegen, ist auch nichts gewonnen. Die  Klimakrise ist so weit fortgeschritten, dass die Maßnahmen sehr radikal sein müssen, was einfach unpopulär ist. Deswegen schrecken die Parteien davor zurück. Dazu kommt die Fokussierung auf das Wirtschaftswachstum. Wenn immer das Wirtschaftswachstum erste Priorität ist, werden einige notwendige Maßnahmen nicht umgesetzt.

Was können denn die Bürger*innen für die Einhaltung der Klimaziele tun?

Druck aufbauen. Seit „Fridays for Future“ auf die Straße gegangen ist, hat sich die Klimapolitik total verändert. Wenn in Bremen 40 000 Leute auf die Straße gehen und radikalere Maßnahmen fordern, ist der Druck auf die Politik groß genug. So etwas ist wohl auch wichtiger als private Lebensentscheidungen.

Wir danken Dir für das Gespräch.

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