Kindeswohl für alle!
Gemeinsame Stellungnahme
veröffentlicht 06/2024
Kinder und Jugendliche haben auch in der vorläufigen Inobhutnahme ein Recht auf ein angemessenes Taschengeld, jugendgerechte Unterkünfte und Gewaltfreiheit!
Wir sprechen uns für jugendgerechte Bedingungen in der vorläufigen Inobhutnahme und gegen diskriminierende und gefährdende Praxen der Unterbringung und Versorgung von schutzsuchenden Minderjährigen aus.
Zu diesem Zwecke veröffentlichte ein ziviles Bündnis gesellschaftlicher Aktuere, bestehend aus dem Fluchtraum Bremen e. V., der Förderverein Flüchtlingsrat Bremen e. V. und der Bremer Jugendring – Landesarbeitsgemeinschaft der Bremer Jugendverbände e. V. sowie weiteren Verbündeten im Juni 2024 die Stellungnahme “Kindeswohl für alle!”.
Darin fordern wir von der Senatorin Frau Dr. Claudia Schilling
- sich für dezentrale und den individuellen Bedürfnissen gerechte Unterkünfte und Betreuung der Jugendlichen in der vorläufigen Inobhutnahme einzusetzen.
- die rückwirkende Auszahlung des (unterschlagenen) Taschengeldes mithilfe von transparenten Verfahren proaktiv zu fördern.
- den Ausschluss von Gewalt sowie mittelbarem und unmittelbarem Zwang gegen Kinder und Jugendliche in der Verwaltungsanweisung zu § 42b Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 42b Abs. 3 Satz 1SGB VIII vom 09.01.2020 mit sofortiger Wirkung.
Die vollständige Stellungnahme gibt es hier zum Download.
Quelle: UNICEF Hochschulgruppe Bremen
Vorstellung und Verteilung der Stellungnahme zum “World Refugee Day” am 20.06.2024 an der Universität Bremen.
Unsere Forderungen
Moritz Wittkamp
Bildungsreferent für Klima und Integration
Qualitätsstandards Kinder- und Jugendreisen
0159-06318080 (auch Signal)
Zum Hintergrund der Verwaltungsanweisung
Bei einer Überschreitung der festgelegten Aufnahmequote für unbegleitete ausländische Jugendliche, nach § 42 SGB VIII kann eine Umverteilung der Minderjährigen in andere Landkreise angeordnet werden. Diese dürfe nur erfolgen, sofern das Kindeswohl nicht gefährdet wird. Entsprechend der Verwaltungsanweisung zu § 42b Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 42b Abs. 3 Satz 1SGB VIII vom 09.01.2020 kann die Umverteilung sogenannter “Verweigerer” trotz Ablehnung der Minderjährigen mit Androhung und Anordnung unmittelbaren Zwangs durch die Polizei durchgesetzt werden. Diese Praxis stieß auf große Kritik, u. a. vom Flüchtlingsrat Bremen e.V. und in den Medien. Folgend trat 2021 eine neue Verwaltungsanweisung in Kraft, welche vorsah, die Umverteilung der Minderjährigen nach zweifacher Verweigerung des Fahrtantritts abzubrechen. Darauf folgte der Ausschluss von der Umverteilung und die Inobhutnahme der*des Jugendlichen. Seitdem fanden in Bremen keine Umverteilungen mehr statt. Aus Sicht der Behörde ist die Androhung von Zwang ein wesentliches Instrument, um die Abläufe der Umverteilung zu gewährleisten. Dies veranlasste die Behörde die Zwangsmaßnahme wieder als legitimes Mittel anzustreben. Im Herbst 2022 wurde die “neue” Verwaltungsanweisung zur Regelung der Umverteilung unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter zurückgenommen. Es gilt seitdem wieder die Verwaltungsanweisung vom 09.01.2020 welche die Gewaltandrohung und Anwendung zur Durchsetzung der Verwaltungsanweisung beinhaltet.
Zum Hintergrund des Taschengeldes
Die Jugendämter Bremen und Bremerhaven haben von 2015 bis Ende Dezember 2023 allen Jugendlichen in Maßnahmen der vorübergehenden Inobhutnahme nach § 42a SGB VIII rechtswidrig zu wenig Taschengeld gezahlt. Minderjährige, die in Einrichtungen der Jugendhilfe leben, erhalten als Teil der Jugendhilfeleistungen einen Barbetrag zur persönlichen Verfügung, das „Taschengeld“. Das galt nicht für Kinder und Jugendliche in der vorläufigen Inobhutnahme, sondern nur für diejenigen in Einrichtungen der Jugendhilfe oder in der Inobhutnahme. Das Taschengeld (1,50€ pro Anspruchstag), das die Kinder und Jugendlichen in der vorläufigen Inobhutnahme erhielten, waren zum einen an Bedingungen geknüpft, wie Terminwahrnehmung und eine Wartezeit von 8 Tagen. Zum anderen war das Taschengeld nicht Teil der Jugendhilfeleistung, sondern orientierte sich unsachgemäß an den Sätzen des Asylbewerberleistungsgesetz von 2015 ohne jegliche Anpassung seitdem. Kaum Bargeld zur Verfügung zu haben, bedeutet eine erhebliche Einschränkung des Alltagslebens, der Entwicklungsmöglichkeiten und der Autonomie und stellt in diesem Falle eine faktische Diskriminierung der unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten dar.
Zum Hintergrund der Unterbringung
Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf einen angemessenen Lebensstandard (UN-Kinderrechtskonvention Art. 27). Da es sich hierbei um Kinder und Jugendliche handelt, die wegen ihrer Flucht, ihrer Erfahrungen vor der Flucht und ihrer unbegleiteten Einreise unter besonderem Schutz stehen (Art. 20, 22 UN-KRK), bedarf es insbesondere einer sicheren und wohnlichen Unterkunft. Wir berufen uns auch auf Art. 39 der UN-Kinderrechtskonvention, welcher Kindern und Jugendlichen, die Opfer eines bewaffneten Konflikts geworden sind, eine Genesung und Wiedereingliederung in einer der Gesundheit, Würde und Selbstachtung förderlichen Umgebung zuspricht. Unbegleitete geflüchtete Kinder und Jugendliche müssen zudem in Deutschland im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe nach den gesetzlichen Regelungen des SGB VIII untergebracht werden.
Dass dies nicht per se gegeben ist, belegen Videoaufnahmen von Jugendlichen, die in Turnhallen wie dem „Airportlab“ untergebracht waren. Mit der Schließung von Massenunterkünften ist der Forderung nach angemessener Unterkunft und Lebensstandard nicht genüge getan. Eine „angemessene“ Unterbringung bedeutet wie auch in anderen Einrichtungen der Jugendhilfe mindestens saubere Räumlichkeiten, Möglichkeiten für Rückzug und Privatsphäre sowie kompetente sozialpädagogische und psychologische Betreuung, die bei traumaerfahrenen schutzsuchenden Minderjährigen in den meisten Fällen angezeigt ist. Konzepte und Finanzierungsmöglichkeiten müssen die Qualität der Arbeit und des Schutzes gewährleisten. Auch vor dem Hintergrund schwankender Zugangszahlen von jungen Schutzsuchenden müssen ausreichend räumliche und personelle Ressourcen bereitstehen.
Positionspapier zur Umverteilung ungebegleiteter minderjähriger Geflüchteter
veröffentlicht 10/2022
In Bremen galt bis 2021 eine Verwaltungsanweisung, die es erlaubt unbegleitete geflüchtete Kinder und Jugendliche gegen ihren Willen und unter Anwendung von Zwangsmitteln auf andere Bundesländer umzuverteilen. Aufgrund starker Kritik und großem öffentlichem Druck wurde die Verwaltungsanweisung ausgesetzt. Nun wurde in den politischen Reihen die Wiedereinsetzung der Richtlinie diskutiert. Der Bremer Jugendring spricht sich in dem Postitionspapier zur Situation unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter ausdrücklich gegen die Androhung und Anwendung von Zwangsmitteln aus.
Die Missachtung des Willens der Jugendlichen trotz klaren Widerspruchs stellt in unserem Verständnis eine bewusste Gefährdung des Wohlergehens der Kindern und Jugendlichen dar.
Wir verweisen auf die besondere Vulnerabilität der jungen Menschen und die Gefahr einer (Re-)Traumatisierung. Auch eine zugespitzte Situation in den Aufnahmezahlen kann kein solches Vorgehen verantworten.
Die Position aus 10/2022 gibt es hier zum Download.